deckkraftdeckkraft Walter Eul und Marc von Criegern

What You See Is What You Get? Das Gesetz der spontanen Komposition

Von Magdalena Kröner (2012)

Das Gemälde, um das es hier geht, ist monumental: es misst sechzehn mal vier Meter und es wächst weiter, während dieser Text entsteht. Die Idee zu diesem ungewöhnlich großen und überhaupt ungewöhnlichen Bildprojekt kam den in Düsseldorf lebenden Künstlern Walter Eul und Marc von Criegern (deckkraft). Fotos zeigen beide gemeinsam, in schwarz-weiß, mit Atemmasken, bei der Arbeit vor einer Leinwand übersät mit einer Fülle malerischer Gesten, als gäbe es nicht einen, sondern zwei Mr. Pollock und als wäre der abstrakte Expressionismus nicht längst Geschichte, sondern unmittelbare Gegenwart. Fotos wie diese suggerieren eine kunsthistorische Kontinuität, die sofort Widerspruch provoziert: Was will das hier sein und was soll es werden? Ein großer künstlerischer Wurf? Reiner Größenwahn?

Beim Blick auf das gemalte und noch zu malende und in einer idealen Welt wohl niemals vollbrachte Bild behauptet sich dieses durch seine schiere Evidenz: Es trägt die ganze Welt in sich, in einer vielfarbig schillernden, komplex ineinander verschobenen Vielfalt, im Spiel von Fragment und Form, von Fläche und Linie, von Figur und Abstraktion. Zahlreiche Formen werden entwickelt, die vage an Bekanntes erinnern, ohne eindeutig werden zu müssen.

Im Zeitalter digital erzeugter und perfektionierter Oberflächen in Fotografie, Film, Architektur und Design verfügt das für den Mönchengladbacher Kunstverein entstehende Monumentalgemälde über klassische malerische Qualitäten: originale, originäre Gesten, die zudem im Prozeß einer gleichberechtigten Kooperation stehen, wie sie nur wenigen Malern gelingt. Das in einer weitgehend spontanen, ungesteuerten Zusammenarbeit entstehende Werk ist Seismograph und Transmitter von Zeit, Bewegung und körperlicher Präsenz. Diese Art eines gleichberechtigten Teamworks funktioniert in Konkurrenz und Ergänzung und vor allem als ständige Herausforderung für beide Beteiligten. Jede malerische Geste setzt sich ihrer unmittelbaren Überprüfung aus; macht sich angreifbar, relativ. Die Autonomie des Eigenen geht auf im gemeinsamen Handeln im Bild.

Wer das Tun der Maler beobachtet, meint, zwei modernen Alchemisten bei der Arbeit zuzusehen, die aus simplen Dingen Gold spinnen wollen, und die Verwandlung auf dem Weg zum Großen Werk suchen, ungeachtet der steten Möglichkeit ihres Scheiterns. Am Ende allen Tuns wollen diese modernen Goldmacher ein gemeinsames Werk, daß mehr ist als die Summe seiner Teile; etwas, das, vor allem, etwas völlig Anderes ist, als der Einzelne schaffen könnte.
Im Zentrum der bisherigen malerischen Arbeit von Marc von Criegern stehen figürlich geprägte Raumarrangements, die durch klare Komposition und einen reduzierten Einsatz ihrer Mittel geprägt werden. Architekturen mit häufig modernistischem Hintergrund; Menschen bei kryptischen Arbeitsprozessen wie vom Beginn der Industrialisierung ausgeschnitten - von Criegern operiert mit Versatzstücken der Moderne, die er zu einer originären, malerischen Zeitrechnung arrangiert.
Walter Eul hingegen lotet in abstrakten Werken die mögliche Endlosigkeit jeder Komposition aus: seine Gemälde sind häufig als Module angelegt, die sowohl in seriellen Kompositionen aufgehen, als auch aus verschiedenen Richtungen betrachtet werden können. Das Gemälde und die darin enthaltenen Gesten spielen zudem systematisch mit anti-malerischen Mitteln wie der Integration von Zufall oder digital erzeugten Strukturen.

Vielleicht hat das, was in der Kooperation beider Künstler geschieht, also tatsächlich mehr mit Musik als mit wundersamer Naturwissenschaft zu tun: Walter Eul und Marc von Criegern sind Improvisationskünstler, die gleichermaßen Thema und Variation bestimmen. Doch spielt auch das Sampling in diesem Prozess eine Rolle: als freies Zusammenfügen unterschiedlicher Elemente, die als Einzelne sichtbar bleiben, aber dennoch etwas Neues erzeugen.

Sampling, Composing - längst scheint diesen Begriffen im Zeitalter universeller Bildverfügbarkeit durch digitale Datenbanken, Blogs und Websites der Ruch des Inflationären anzuhaften. Vor dieser Folie betrachtet, wagen die beiden Künstler etwas zugleich Altmodisches und Unerhörtes: das unmittelbare Einlassen auf das Entstehen eines einzigen, nicht reproduzierbaren Kunstwerkes; auf Prozessualität mit weitgehend offenem Ergebnisausgang. Das auch in Mönchengladbach selbst, "on Site" fortgeführte Gemälde offenbart sich also sowohl in seiner Ereignishaftigkeit als auch in einer direkt lesbaren Körperlichkeit, die den perfektionierten Oberflächen digital generierter Bilder abgeht.

Die Bildoberfläche, obwohl sie zunächst flach anmutet, tritt dabei ein in einen unmittelbaren Dialog mit dem Betrachter, der über das Generieren retinaler Reize weit hinausgeht. Die haptische und koloristische Unmittelbarkeit existiert in diesem vor Farben und Formen überbordenden Gemälde als sinnliche Präsenz, die eine von Gegenständlichkeit befreite, dichte Bildlichkeit zu entwerfen vermag. Hier erfährt das im Computerzeitalter berühmt gewordene "WYSIWYG" eine gänzlich neue Bedeutung. What You See Is What You Get: die Oberfläche markiert die Essenz. Das entstehende Gemälde thematisiert darin nicht zuletzt das Spannungsverhältnis von Imitat und Original.

Die offenbare Flachheit und teils agressive Buntheit von malerischen Gesten, Formen oder auch den spärlich gesetzten männlichen Figuren, die als Schablonen erkennbar bleiben, sind dabei von besonderem Reiz, denn sie verunklären strategisch Herkunft und Eigenschaften des Gezeigten. Reale Alltagsgegenstände tauchen als gesprühte Schatten auf, erinnern an etwas, das gleichermaßen amorph und technoid erscheint und sich nicht konkretisieren läßt. Sichtbar bleiben Umrisse und Fragmente. Spürbar werden ein ewiges Andeuten und ein lockeres Erfassen, das seine Gegenstände nicht umklammert. Was so entsteht, ist ein Gemälde wie ein instabiles Kraftfeld: das die Dinge um sich herum mit seiner Energie kurz anzieht um sie gleich wieder hinauszuschleudern in die Welt. Eine Komposition, die mit ihrem möglichen Übertreten ins Chaos auch das eigene Verschwinden thematisiert und es mit jeder neuen Geste auslotet.

Ein Entstehungsprozeß ohne Hierarchien generiert ein Bild ohne Hierarchien: alles scheint gleichermaßen flach, gleichermaßen wichtig. Die Bewertung des Dargestellten und seine Einordnung im Sinne eines überblickenden Schauens wird unmöglich. Dieses Gemälde holt sein Publikum vom Feldherrenhügel herunter und sagt: "Komm näher. Verlier dich in mir". Ein monumentales, malerisches Projekt wie dieses, das gleichermaßen von Offenheit und Spontaneität lebt, will nicht zuletzt den stets aufflackernden Zweifel an der Gültigkeit heutiger Malerei widerlegen. "Natürlich ist alles bereits gemalt worden, also holen wir einfach alles ins Bild hinein", sagen Eul und von Criegern. So strotzen die gemeinsam entstandenen Gemälde vor unmittelbarer Welthaltigkeit, bleiben jedoch abstrakt, und führen durchschaubare Kompositionsprinzipien an ihre Grenzen.

Der Ausstellungsraum wird zur Bühne für ein monumentales Gemälde, dessen Schauwert sich aus einer Vielzahl bildnerischer Interventionen und Gesten ergibt, die jede für sich, auf Schock, Rührung, Irritation und Begeisterung beim Betrachter abzielen. Wie es alle großen Werke tun.

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